MARKTPERSPEKTIVEN
Stagnation, Energiekrise, Schwäche im Exportsektor, zahlreiche krankheitsbedingte Absenzen bei Arbeitnehmenden und zuletzt die Nachricht von Werkschliessungen bei VW. Solche und ähnliche Meldungen erreichten uns in den letzten Monaten immer wieder aus Deutschland. Was ist mit dem einstigen Musterknaben los?
Blicken wir zurück: Deutschland hatte um die Jahrtausendwende massive Probleme und wurde als kranker Mann Europas bezeichnet. Die damalige Regierung lancierte daraufhin die Agenda 2010, die eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und Wachstumsreformen beinhalteten. Dadurch wurde unser Nachbarland konkurrenzfähiger und es folgte eine goldene Ära, die bis etwa 2017 andauerte. Vom Erfolg verwöhnt wurde das Land aber träge. Gleichzeitig reformierten sich nach der Eurokrise die südlichen Länder Europas und verbesserten so ihre Konkurrenzfähigkeit.
Nach der Covid-Pandemie verschlechterten zyklische Faktoren die Lage zusätzlich. Verantwortlich dafür waren insbesondere die Konsumverlagerung hin zu Dienstleistungen, worunter das traditionell im industriellen Sektor starke Deutschland leidet, ein schwacher Exportmarkt China und höhere Energiepreise infolge der Ukraine-Krise. Als Folge davon stagniert die deutsche Wirtschaft seit Ende 2022 und befindet sich aktuell sogar am Rande einer Rezession.
Wird die Schweizer Wirtschaft dadurch geschwächt? Weit geringer als man denken könnte. Deutschland war in den 90er Jahren mit einem Anteil der Exporte von bis zu 25% der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz auf Länderebene. Seine Bedeutung nahm danach stetig ab und erreichte 2023 noch rund 12%. Vor vier Jahren haben die USA Deutschland als für die Schweiz wichtigste Exportnation abgelöst. Daneben hat natürlich Asien stark an Bedeutung gewonnen. Die Schweizer Wirtschaft hat sich somit erfolgreich neu ausgerichtet und das alte Sprichwort: «Wenn Deutschland hustet, dann hat die Schweiz einen Schnupfen» gilt je länger, je weniger.
Zurück zu Deutschland: Wie präsentieren sich die mittelfristigen wirtschaftlichen Aussichten für unseren nördlichen Nachbarn? Klar ist, dass die Herausforderungen gross sind. Dazu gehören Fachkräftemangel, veraltete Infrastruktur aufgrund zu tiefer Investitionen und Fragezeichen bei der Energiepolitik. Eine klare Energiepolitik, Abbau der überbordenden Bürokratie und schnellere Bewilligungsprozesse für Infrastrukturbauten sind deshalb dringend nötig. Denn Deutschland hat ausreichend finanzielle Möglichkeiten und steht mit geringen Budgetdefiziten und einer Staatsverschuldung von 63% vom BIP ausgezeichnet da. Dazu kommt eine sehr gute wirtschaftliche Basis in Form der sogenannten Hidden Champions, also kleineren und mittleren Unternehmen, die fern der Öffentlichkeit Marktführer in ihren Nischen sind. Deutschland hat davon etwa 1600, soviel wie sonst kein anderes Land der Welt. Es ist deshalb nach unserem Dafürhalten zu früh, das Land abzuschreiben. Wenn die Politik an den richtigen Stellschrauben dreht, kann Deutschland auf einen moderaten Wachstumspfad zurückkehren.
Giorgio Saraco
Teilhaber
Konjunktur
Die US-Wirtschaft blieb auch im 3. Quartal auf einem soliden Wachstumspfad. Getragen vom Privatkonsum wuchs das BIP im Vergleich zum Vorquartal um annualisierte 2.8%. Ein wichtiger Grund für die Stärke des Konsums ist der Arbeitsmarkt, der sich nach einer temporären Schwäche im September wieder deutlich erholte. Insgesamt präsentiert sich die US-Wirtschaft unter den drei grossen Regionen immer noch am besten.
In China weitete der Staat seine Stimulierungsmassnahmen im Oktober aus. Unter den Marktbeobachtern ist man sich aber einig, dass diese nicht genügen, um den Immobilienmarkt zu stabilisieren. Der Staat müsste insbesondere mehr Mittel für den Lagerabbau im Immobilienmarkt bereitstellen und dazu die Sozialausgaben für ärmere Bevölkerungsschichten erhöhen. Unter dem Strich bleiben die Herausforderungen gross und die Gefahr einer Deflationsspirale besteht weiter.
In der Eurozone überraschte die Wirtschaft für einmal positiv. So stieg das BIP im 3. Quartal mit 0.4% stärker als die erwarteten 0.2%. Geholfen haben eine allgemeine Erholung des Privatkonsums sowie auf der Länderebene Spanien mit überdurchschnittlichem Wachstum von 0.8%. Nichtsdestotrotz bleiben die Herausforderungen für die Eurozone gross. Es sind dies vor allem eine schwache Auslandsnachfrage und neue Handelsrestriktionen. Immerhin dürfte der Arbeitsmarkt recht gut bleiben und die Zinssenkungen sollten mittelfristig helfen.
Aktien
Die Börsen entwickelten sich im Oktober uneinheitlich. In den USA profitierte der Markt von der guten Konjunktur und insgesamt besser als erwarteten Gewinnausweisen für das 3. Quartal. Ein Beispiel ist Netflix (+6.3% im Oktober), das seine Profitabilität deutlich steigern konnte. Der S&P 500 und der Nasdaq stiegen im Oktober um +1.0% bzw. +2.3%. Mehr Mühe bekundeten der Euro Stoxx und der SPI mit Monatsverlusten von -2.2% bzw. -1.9%. Bei letzterem belasteten die Schwergewichte Nestlé und Novartis. Nestlé hat ein Wachstums- und Innovationsproblem, das sich nicht so schnell lösen lassen wird. Es gab aber auch Lichtblicke. Dazu gehörten beispielsweise die Aktien von Holcim (+4.1%), Schindler (+2.0%) und Galenica (+1.9%). Holcim schaffte im 3. Quartal eine erneute Margensteigerung und die geplante Kotierung des Nordamerikageschäfts dürfte zusätzlichen Aktionärswert schaffen.
Nachdem die schwierigen Börsenmonate September und Oktober überstanden sind, stehen nach unserem Dafürhalten die Chancen gut für einen erfreulichen Jahresausklang an den Aktienmärkten. Treiber sind vor allem gute Unternehmenszahlen aus den USA, eine weitere Entspannung an der Inflationsfront, Zinssenkungen durch die Notenbanken und der Wille der chinesischen Regierung, die Wirtschaft zu stützen.
Zinsen
Nachdem die Zinsen für langjährige Staatsanleihen im September noch gesunken sind, kam es im Oktober zu einer deutlichen Gegenbewegung. So stiegen sie beispielsweise in den USA wieder über 4%. Gründe dafür waren bessere Wirtschaftszahlen, aber auch Bedenken über die überbordenden Budgetdefizite, unabhängig davon, wer der nächste Präsident wird. Da wir das Rezessionsrisiko als relativ gering einschätzen, gehen wir davon aus, dass die Kapitalmarktzinsen mindestens auf den aktuellen Niveaus verbleiben dürften.
Die Notenbanken werden ihre Zinssenkungen fortsetzen. Die EZB dürfte aufgrund der schwachen Wirtschaft und dem deutlichen Inflationsrückgang die Zinsen am schnellsten senken, während sich die US-Notenbank mehr Zeit lassen wird. Die SNB wird mit ihrer Politik irgendwo dazwischenliegen.
Impressum
© BAM 2024. Alle Rechte vorbehalten.
Herausgeber: Belvédère Asset Management AG
Autoren: Giorgio Saraco, Matthias Wullschleger
Redaktionsschluss: 30.10.2024
Matthias Wullschleger
Senior Investment Analyst
Disclaimer
Die in dieser Publikation enthaltenen Informationen und Ansichten dienen ausschliesslich zu Informationszwecken und begründen weder eine Aufforderung seitens der Belvédère Asset Management noch ein Angebot oder eine Empfehlung zum Erwerb oder Verkauf von Finanzinstrumenten oder zur Tätigung sonstiger Transaktionen. Die darin enthaltenen Informationen und Ansichten beruhen auf Quellen, die wir als zuverlässig erachten. Dennoch können wir weder für die Zuverlässigkeit noch für die Vollständigkeit oder Richtigkeit dieser Quellen garantieren. Soweit gesetzlich zulässig schliessen wir jede Haftung für direkte, indirekte oder Folgeschäden aus, einschliesslich entgangenen Gewinns, die aufgrund der publizierten Informationen entstehen. Interessierten Investoren empfehlen wir dringend, ihren persönlichen Kundenbetreuer zu konsultieren, bevor sie auf der Basis dieses Dokumentes Entscheidungen fällen, damit individuelle Umstände, Bedürfnisse und Anlageziele im Rahmen einer umfassenden Beratung gebührend berücksichtigt werden können.